Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen 2023

„Gedenken und Protest in Halle (Saale)“

1990 ist eine hohe Zahl. Höher sogar noch als letztes Jahr.

Viele Passant*innen können unsere Aussage gar nicht glauben und doch schweben diese vier Nummern aus schwarzer Pappe bei jedem Redebeitrag an diesem 21.7.2023 über dem Marktplatz in Halle. Als Anzahl der Menschen, die im vergangen Jahr an den Folgen ihres Drogenkonsums verstorben sind. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch höher. Ihnen wollten wir gedenken und uns gleichzeitig die Frage stellen: Wie können so viele Todesfälle im nächsten Jahr verhindert werden und wer kann dafür Verantwortung übernehmen?

Neben dem Hanf Quiz des Deutschen Hanfverbandes und der Tierschutzallianz, HIV und Hepatitis C Aufklärung der Aidshilfe Halle und der Vertretung von „Die Partei“ und den Jusos kamen Mitarbeiter*innen der drobs zwischen 10 Uhr und 16 Uhr mittels einer Bodenzeitung immer wieder mit Passant*innen über genau diese Frage ins Gespräch.

Genauso verschieden wie die individuellen Erfahrungen und Zugänge zu dem Themenfeld „Konsum“ waren, so unterschiedlich waren auch die Lösungsansätze. An der Auswertung der Bodenzeitung zeigt sich am Ende aber doch eine deutliche Tendenz: diese hohe Anzahl an Drogentoten ist eben auch ein Ergebnis des Versagens der deutschen Drogenpolitik und vor allem ist jede*r Drogentote eine Person zu viel. Wir sagen klar: auch die Menschenwürde von Konsument*innen legalisierter Substanzen gilt es zu schützen und wir wollen mit einem kritischen Finger aufzuzeigen, wo sie momentan nicht gewahrt wird.


 


Redebeitrag von Alina Pannkoke:

Liebe Eltern und Angehörige, liebe Freund*innen und Partner*innen, liebe Kolleg*innen und liebe Interessierte,

 

ich begrüße Euch herzlich und bedanke mich schon einmal für Euer Interesse an diesem enorm wichtigen Thema. Wir versammeln uns heute anlässlich des Internationalen Gedenktages für verstorbene Drogengebrauchende zum Erinnern, Gesicht zeigen und Aufklären.

 

Zuerst einmal zu mir:

Mein Name ist Alina Pannkoke, ich bin 22 Jahre alt, studiere Erziehungswissenschaft und arbeite nebenbei im SCHIRM-Projekt Halle. In meinem Studium setze ich mich theoretisch mit sozialen Problemen und deren Bearbeitung auseinander. Bei meiner Arbeit im SCHIRM begegne ich jungen Menschen in prekären Lebenslagen aus verschiedenen Lebensrealitäten und mit unterschiedlichsten Problemlagen, darunter auch Drogenkonsum und Abhängigkeit.

Für mich ist dieses Thema daher von großer persönlicher Bedeutung. Täglich begegne ich jungen Menschen, die mit den Herausforderungen des Drogenkonsums kämpfen.

Ich sehe ihre Hoffnungen, Ängste und den harten Kampf, den sie Tag für Tag führen. Ihre Geschichten haben mich tief berührt und mich dazu bewegt, mich für ihre Rechte und ihre Würde einzusetzen, statt schweigend wegzuschauen.

 

Im Jahr 2022 wurden deutschlandweit erschreckende 1.990 Todesfälle durch Folgen des Drogenkonsums registriert. Dies markiert den höchsten Stand seit 20 Jahren. Diese Zahl allein sollte uns alle aufhorchen lassen und uns dazu bewegen, die aktuellen drogenpolitischen Strategien unseres Landes zu hinterfragen.

Repression und Strafverfolgung lenkt den Blick von Menschen mit Unterstützungsbedarf ab und ist nachweislich gescheitert! Das Problem, dem wir gegenüberstehen, ist alarmierend. Wir haben es deutschlandweit mit einer stetig steigenden Zahl von Konsumierenden, Infektionen und Drogentodesfällen zu tun.

Auch hier in Halle ist Drogenkonsum allgegenwärtig! Vor gerade einmal zwei Wochen starb eine 18-jährige Frau nach dem Konsum von Ecstasy.

 

In meiner heutigen Rede möchte ich Euch ein nachweislich lebensrettendes, leider jedoch hier noch ungenutztes Angebot der Drogenhilfe vorstellen – Drogenkonsumräume.

Das Einrichten eines Drogenkonsumraumes ist bundeseinheitlich durch den §10a des Betäubungsmittelgesetzes geregelt. Jedoch muss jedes Bundesland individuell eine Erlaubnisverordnung erlassen – somit hängt das Einrichten zunächst immer vom politischen Willen der jeweiligen Landesregierung ab!

Aktuell gibt es in 9 von 16 Bundesländern Drogenkonsumräume. Bis auf Berlin befinden sich alle im Westen Deutschlands.

 

Drogenkonsumräume erfüllen wichtige Funktionen zur Überlebenshilfe und Risikominimierung beim Konsum illegaler Drogen wie beispielsweise Heroin oder Crack.

Drogenkonsumräume ermöglichen es Konsumierenden, ihre mitgebrachten Drogen unter ärztlicher Aufsicht und unter hygienischen Bedingungen sicher zu konsumieren. Das Fachpersonal vor Ort überwacht den Konsum und steht für direkte Gespräche, Safer-Use-Beratungen und Notfallmaßnahmen sofort zur Verfügung.

In den Drogenkonsumräumen erhalten Konsumierende kostenfrei sterile Konsumutensilien wie bspw. Spritzen und Kanülen, welche nach der Benutzung direkt fachgerecht entsorgt werden.

Die Ziele von Drogenkonsumräumen sind vielfältig. Sie dienen der Gesundheitsprävention, indem sie die Risiken des Konsums minimieren, beispielsweise durch die Reduzierung von Überdosierungen durch die Unterstützung medizinischen Personals. Sie minimieren Risiken in der Öffentlichkeit, wie herumliegende benutzte Spritzutensilien, welche eine deutliche Gefahr für bspw. Tiere und Kinder darstellen. Darüber hinaus haben sie drogentherapeutische Ziele, indem sie die Weitervermittlung an andere soziale Einrichtungen ermöglichen, um nachhaltig Hilfe zu gewährleisten. Die Ziele umfassen letztlich die Sicherung des Überlebens, die Stabilisierung der Gesundheit und psychosozialen Situation, die Unterstützung eines selbstverantwortlichen und kontrollierten Drogenkonsums sowie die Herauslösung aus der Drogenszene und individuellen Abhängigkeitsstrukturen.

 

Seit Anfang Juli ist nun endlich auch das drug-checking in Drogenkonsumräumen legalisiert – somit hätte der anfangs erwähnte Tod der 18-jährigen Frau aus Halle, des 13-jährigen Mädchens aus Mecklenburg-Vorpommern und des 15-jährigen Mädchens aus Brandenburg evtl. verhindert werden können, indem auch Drogen wie Ecstasy getestet werden können.

 

Drogenkonsumräume retten Leben!

 

Die positiven Ergebnisse anderer Drogenkonsumräume sprechen eine deutliche Sprache und zeigen, warum wir diese Einrichtungen dringend benötigen.

In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2021 rund 11.000 Konsumierende an weiterführende Hilfsangebote vermittelt. Zudem konnten vor Ort etwa 300 Notfälle erfolgreich behandelt werden, darunter auch lebensrettende Maßnahmen wie Wiederbelebungen.

Ein ähnliches Bild ergibt sich aus Frankfurt, wo im Jahr 2021 53% der 168 Notfälle in oder in der Nähe von Drogenkonsumräumen sofort versorgt werden konnten.

Eine Evaluation über 6 Monate aus dem Jahr 2009 mit 13 Einrichtungen in 11 Städten zeigte auf, dass es in dieser Zeit 124 schwere oder lebensbedrohliche Drogennotfälle gab, die ohne das Eingreifen des Fachpersonals vor Ort tödlich geendet hätten.

 

Drogenkonsumräume retten Leben!

 

Auch international liefern zahlreiche Studien Beweise für die positiven Effekte von Drogenkonsumräumen – das Gesundheits- und Risikoverhalten der Konsumierenden wird positiv verändert – somit wird die Gesundheit der Konsumierenden verbessert und stabilisiert.

Studien aus Australien zeigen, dass es, anders als häufig befürchtet, keinen Anstieg des öffentlichen Konsums oder von Raub- und Diebstahldelikten im Umfeld der Einrichtungen gab, sondern im Gegenteil – Konsumierende verlagerten ihren Aufenthaltsort von den Straßen in die Einrichtungen.

Diese Beispiele und Erkenntnisse aus anderen Drogenkonsumräumen verdeutlichen, dass wir durch die Einrichtung solcher Räume eine effektive Maßnahme der Schadensminimierung und der Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen haben. Wir sollten von den Erfolgen anderer lernen und diese wirksame Strategie auch in unserem eigenen Umfeld umsetzen.

Ein häufig aufkommendes vermeintliches Argument gegen Drogenkonsumräume ist, dass der Drogenkonsum normalisiert oder sogar gefördert werden könnte. Das lässt sich durch einige Studien jedoch schnell widerlegen. Drogenkonsumräume tragen nachweislich nicht zur Erhöhung der Anzahl von Drogenkonsumierenden bei, sondern bieten vielmehr einen Raum, in dem Prävention, Aufklärung und Hilfe möglich sind.

Die Rechtsverordnung gibt Zugangskriterien vor, darunter beispielsweise konsequente Personalausweiskontrollen der Nutzenden. Offenkundige Erst- und Gelegenheitskonsumierende werden von der Nutzung ausgeschlossen, sodass auch die Sorge, dass Menschen durch Drogenkonsumräume evtl. zum Konsum motiviert oder sogar getrieben werden, nichtig wird.

In Zeiten, in denen Menschenleben auf dem Spiel stehen und dringender Handlungsbedarf besteht, müssen wir unsere Stimmen erheben und für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen kämpfen.

Wir müssen uns der Realität stellen und den Schutz und die Unterstützung derjenigen in den Vordergrund stellen, die von Drogenabhängigkeit betroffen sind. Indem wir Drogenkonsumräume einrichten, signalisieren wir als Gesellschaft, dass wir für die Gesundheit und das Leben aller Menschen einstehen.

Die Forderung von Sozialarbeitenden, Suchtberatenden und Ärzt*innen ist klar:

Wir fordern politische Sichtbarkeit, eine lösungs- und akzeptanzorientierte Drogenpolitik und mehr Aufklärung!

 

Wir fordern außerdem die Erlaubnisverordnung für Drogenkonsumräume in Sachsen-Anhalt mit dem Ziel, Konsumierende und Bürger*innen der Stadt Halle zu unterstützen!

Wir müssen die politische Sichtbarkeit dieses Problems erhöhen und eine breite Aufklärungskampagne starten!

Lasst uns nicht vergessen, dass hinter den Zahlen und Statistiken Menschenleben stehen. Menschen, die unsere Unterstützung brauchen und ein Recht auf Gesundheit und Würde haben.

Ich appelliere auf diesem Weg an unser aller Menschlichkeit.

Lasst uns unsere Stimmen nutzen, lasst uns gemeinsam diese Herausforderung angehen und das Leben derer retten, die zur Stille gezwungen werden.

Lasst uns das Stigma brechen, aktiv werden und lasst uns hinsehen und zuhören.

Am Stand der drobs Halle liegt eine Petition aus, welche unserem Vorhaben Gehör in der Politik verschaffen soll und die Relevanz der Thematik deutlich machen soll.

Ich bitte Euch abschließend also darum, uns dabei zu unterstützen, indem Ihr die Petition unterschreibt. Jede Unterschrift zählt und jede Unterschrift gibt Stimmen an die Personen, die nicht gehört werden.

Außerdem findet Ihr an dem Infostand das Quellendokument meiner Rede, wenn Ihr Euch tiefer mit der Thematik befassen wollt.

 

Lasst uns gemeinsam eine Gesellschaft schaffen, die von Mitgefühl und Unterstützung geprägt ist. Jede einzelne Person kann einen Unterschied machen. Gemeinsam können wir Leben retten, Gesundheit schützen und eine bessere Zukunft für alle schaffen. In diesem Kampf werden wir nicht nachlassen. Zusammen können wir Veränderungen bewirken und eine Welt gestalten, in der niemand aufgrund von Sucht und Drogenkonsum sterben muss.

Es liegt in unserer Verantwortung, dieses Ziel zu erreichen.

Lasst uns gemeinsam vorangehen und eine Gesellschaft schaffen, die auf Fürsorge und Solidarität basiert.

Ich verabschiede mich nun von Euch und bedanke mich von Herzen für Euer Interesse und Eure Aufmerksamkeit.

 

Drogenkonsumräume retten Leben!

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